Franz Dienst erforscht seit fast 30 Jahren die Geschichte Kleinhelmsdorfs
Von Agnieszka Bormann
Von den 80 Jahren seines Lebens hat er nur die neun ersten in Kleinhelmsdorf verbracht. Doch der Ort ließ ihn nie los. Heute heißt Kleinhelmsdorf Dobków und gehört dank der leidenschaftlichen Forschungsarbeit von Franz Dienst zweifelsohne zu den best erforschten Orten in Niederschlesien. Dienst hat 2009 seine 493 Seiten umfassende „Chronik eines niederschlesischen Dorfes, einschließlich eines Häuserbuchs und eines Ortsfamilienbuchs mit zahlreichen historischen und aktuellen Abbildungen“ geschrieben, gestaltet und herausgegeben. Die Veröffentlichung wurde Anfang 2018 nachgedruckt.
Geboren im Januar 1938, erlebte Franz Dienst das Kriegsende und seine Konsequenzen bewusst. Seine Kindheitserinnerungen haben aber auch frühere, sorgenfreie Bilder erhalten, wie das Spielen auf dem Hof mit den jüngeren Geschwistern und den Nachbarskindern oder das beinahe akrobatische Fahrradfahren auf dem viel zu großen Männerrad mit einem Bein unter der Stange. Mit dem Kriegsende änderte sich abrupt die Situation der Familie. 1945 übernahm ein Pole aus Galizien, der im Krieg als Zwangsarbeiter nach Deutschland gebracht worden war, den Hof, von dem sie ein Jahr später verwiesen wurden. Untergekommen bei Nachbarn, arbeiteten die Eltern weiter auf dem vormals eigenen Hof für den neuen Eigentümer, bis sie im Winter 1946/47 mit dem letzten Transport den Heimatort verlassen mussten.
Als einziger der fünf Transporte, in denen die Vertreibung der Dorfgemeinschaft organisiert wurde, ging dieser in die damalige Ostzone. So kam die Familie im Januar 1947 nach Leipzig, wo Franz Dienst bis heute lebt. „Nach mehreren Tagen wurden uns zwei kleine Räume in einer Sechs-Zimmer-Wohnung zugewiesen. Sie wurden von fünf Erwachsenen (meinen Eltern, meinem Großvater und zwei älteren Nachbarsleuten, die vollkommen hilflos waren und die meine Mutter betreute) und vier Kindern bezogen. Die Zimmer waren mit einem Tisch und fünf eisernen Bettgestellen mit Strohsäcken möbliert. In jedem Zimmer gab es einen Kachelofen, die aber anfänglich nicht benutzt werden konnten, da wir kein Brennmaterial hatten“, erinnert sich Dienst.
Noch im Januar 1947 wurde Franz Dienst in die erste Grundschulklasse aufgenommen. 1953 schloss er die Schule ab. Danach lernte er bis 1955 Maschinenschlosser und studierte 1957-1959 Maschinenbau an der Ingenieurschule in Leipzig. Es folgten 40 Jahre beruflicher Tätigkeit in einem Maschinenbaubetrieb.
Dienst wird zum Forscher und Chronisten
Ausschlaggebend war ein 1987 in Westdeutschland stattgefundenes Heimattreffen von Vertriebenen aus Kleinhelmsdorf. Dort konnte auf seine Frage nach Literatur über das Dorf niemand eine Antwort geben. So ist er selbst auf die Suche gegangen und hat zunächst in der Deutschen Nationalbibliothek in Leipzig nach Informationen zu Kleinhelmsdorf gesucht. Aus dem recherchierten Material, ergänzt um Berichte und Erinnerungen älterer Dorfbewohner, entstand 1993 die erste, zunächst 95 Seiten umfassende Publikation von Franz Dienst.
Bereits 20 Jahre vor dem benannten Heimattreffen war Dienst zum erstem Mal im polnischen Dobków gewesen. Obwohl er von den polnischen Bewohnern seines ehemaligen Elternhauses freundlich aufgenommen worden war, enttäuschte ihn der Besuch insgesamt. Der Grund: In seinen Kindheitserinnerungen war alles viel größer und anders. Nichtsdestotrotz folgten diesem Besuch bis heute über hundert weitere, und der erste Kontakt mit den neuen Bewohnern des Hauses sollte sich Jahre später bei der Arbeit an der Chronik auszahlen. Zwischen 1991 und 2004 hat Franz Dienst während seiner Besuche in Dobków die Gastfreundschaft der polnischen Familie immer wieder in Anspruch genommen. Die Tochter der Neueigentümer und viel mehr noch die Enkeltochter, eine mittlerweile promovierte Germanistin, haben ihn als Übersetzerinnen in den Archiven und Standesämtern der Region begleitet und unterstützt.
Am Anfang gab es keinen konkreten Plan. Ausgestattet mit dem Familienbuch, das seine umsichtige Mutter beim Verlassen des Dorfes mitgenommen hatte, wollte Franz Dienst nur seine Familiengeschichte recherchieren. Schnell bemerkte er jedoch, dass das Dorf zum großen Teil versippt und verschwägert war und dehnte seine Recherchen auf die gesamte Gemeinschaft aus. Nach 1995 erschienen die ersten Inventarverzeichnisse polnischer Archive, so dass man dort gezielt nach Unterlagen suchen konnte. In den Archiven fand er jedoch nur wenige Unterlagen über Kleinhelmsdorf. Erst 1996 erhielt er den wertvollen Hinweis eines erfahrenen Historikers, dass Dokumente nicht unter dem Dorfnamen archiviert, sondern dem zuständigen Amtsgericht beigeordnet wurden. Diesem Pfad folgend, fand Dienst unter dem Begriff „Amtsgericht Schönau“ ein Inventarverzeichnis mit etwa 1.000 Dokumenten, davon rund 100 über Kleinhelmsdorf. Er beantragte im Staatsarchiv in Breslau eine Genehmigung zur Erforschung dieser Dokumente und konnte sie in Liegnitz und teilweise in Hirschberg einsehen.
Die beachtliche Zahl der historischen Aufzeichnungen zu einem vergleichsweise kleinen Dorf resultiert aus seiner spezifischen Geschichte. Es wurde erstmalig 1203 in einer Urkunde erwähnt, mit der Herzog Heinrich I. einige Dörfer südlich von Goldberg dem Zisterzienserkloster Leubus übertrug. Als Zins- und Zehntdorf gehörte Kleinhelmsdorf bis zur Säkularisierung im Jahre 1810 zum Grundbesitz des Klosters, in dessen Büchern jedes die Ländereien betreffende Ereignis dokumentiert ist. Diese unmittelbare Zugehörigkeit hatte zur Folge, dass das Dorf jahrhundertelang keinen weltlichen Herrscher hatte, die Wirren der Reformation und Gegenreformation nicht durchlebte und eine katholische Insel im protestantischen Meer blieb.
Bis ins Detail durchdacht
Die Geschichte des ungewöhnlichen Ortes eröffnet die von Dienst verfasste Chronik, welche vom Beginn mit ihrer bis ins Detail durchdachten Struktur sowie durch die Dichte und systematische Aufarbeitung der gesammelten Informationen und Quellentexte beeindruckt. Nicht nur jede öffentliche und jede kirchliche Einrichtung, alle Ämter und Funktionsträger sind hier mit ihrer Geschichte vertreten. Auch ein Häuserbuch und ein Ortsfamilienbuch wurden eingearbeitet und geben Aufschluss über jedes einzelne Gebäude und jeden einzelnen Bewohner.
Unzählige Arbeitsstunden stecken in jedem Blatt dieser ausführlichen Chronik. Für wen dieser Aufwand? „Die Arbeit habe ich hauptsächlich für die früheren Dorfbewohner und deren Nachkommen gemacht“, antwortet Dienst, „als ein Denkmal an ihre Herkunft, damit die Erinnerung an die frühere Heimat nicht spurlos in der Geschichte versinkt. Ebenso für meine Familie, damit die Nachkommen bei Interesse ihre Herkunft kennenlernen können. Immer wieder habe ich bei meiner Arbeit gehört: ’Als meine Eltern noch lebten, hat mich das nicht interessiert, jetzt aber ist es zu spät, die Informationen sind verloren’. Deshalb soll die Chronik als Informationsquelle für Nachforschungen dienen.“ Abgeschlossen ist das Projekt aber noch nicht. Von den gefundenen Archivschätzen harren noch viele Dokumente mit alten Handschriften über das Dorf einer Verwendung. Wegen ihres Umfangs konnten sie nicht in die vorliegende Chronik übernommen werden. Das aktuelle Vorhaben des unermüdlichen Franz Dienst ist daher eine neue, erweiterte Auflage des Buches.
Die Chronik war indes nicht die einzige Form der Beschäftigung des engagierten Forschers mit seinem Geburtsort. Als Mitglied im „Schlesischen Geschichtsverein“ und in der „Arbeitsgemeinschaft ostdeutscher Familienforscher“ schrieb er immer wieder auch für die „Goldberg-Haynauer Heimat-Nachrichten“ kleine Beiträge mit Neuigkeiten aus dem heutigen Dobków. Das Dorf mit seiner beeindruckenden Entwicklung in den letzten 20 Jahren hat seinem alten Bewohner allen Anlass zur Freude gegeben. Er durfte beobachten, wie nach Jahren der Abwanderung und Tristesse die junge Generation das kulturelle und touristische Potenzial des Ortes und der Region in Kombination mit neuen Gestaltungsspielräumen nutzt und unternehmerisch tätig wird. So wurde zum Beispiel 2005 die Pension Villa Greta eröffnet, in der Franz Dienst seitdem in Dobków übernachtet und wo er im April mit seiner Familie die Feier zu seinem 80. Geburtstag nachgeholt hat. Fernab seines Wohnsitzes – und doch ganz daheim.
In: Schlesien heute 5/2018, S. 66-67.
Dem Chronisten Franz Dienst zum 80. Geburtstag.